In der Nacht hat es gefroren. Raureif liegt auf der Wiese. Ein ängstlicher Blick geht zum Steg: „Hoffentlich ist das Wasser am Ufer nicht zugefroren.“ Die Sorge ist unbegründet. Kein Eis in Sicht. Die Kälte macht uns nichts. Dicke Socken, mehrere Schichten Pullis und Hosen, Mütze und Handschuhe, mehr brauchen wir nicht. Ach ja, im Winter fahren wir nicht ohne Rettungsweste los. Den Trick mit dem Anziehen habe ich raus, an den Verschluss kann ich mich einfach nicht gewöhnen.
Der Steg ist vereist, wir tragen vorsichtig das Boot ins Wasser und lassen es über die Rolle hineingleiten. Wir legen die Skulls ein – ein Fehler hat sich eingeschlichen – wir haben tatsächlich 4 Steuerbordskulls und entsprechend 2 Backbordskulls auf dem Steg zu liegen. Im Vertrauen darauf, dass sie jeweils paarweise abgelegt wurden, haben wir die Pärchen gegriffen. In der Bootshallte entdecken wir die beiden Übeltäter, zwei rote Backbordskulls, die eng aneinandergekuschelt auf der Ablage liegen. Schnell werden sie getrennt, die Skulls eingelegt, die Paddelhaken rein und los geht’s. Heute sind wir zu dritt. Carol ist eine geübte Steuerfrau auch in der Kombination mit Rudern. Heike sitzt auf Drei, gibt den Schlag an und ich sitze zwischen den beiden.
Es ist ein Traum auf dem Wasser zu sein: Blauer Himmel, glatte Wasseroberfläche, klare Luft und weite Sicht, soweit das Auge reicht. Winterrudern ist einfach etwas Besonderes. Es ist still und man ist irgendwie näher an der Natur. Niemand sonst ist heute auf dem Wasser – die Havel heute, unser privates Ruderrevier.
Wir rudern gen Norden, vorbei an den Schwimmhafenwiesen, wo die Kormorane zu Hause sind, vorbei am Hafen Hennigsdorf. Unzählige Boote und Hausboote liegen im Wasser in Erwartung des Sommers – dann ist es mit der Ruhe auf dem Wasser vorbei! Auch bei uns wird es jetzt lauter, im Hennigsdorfer Elektrostahlwerk wird gearbeitet. Der Arbeiter, der in der orangefarbenen Kabine sitzt, winkt uns zu. Kleiner Nachteil des Ruderns: zurückzuwinken ist nicht möglich. Kurz dahinter bei Kilometer 15 machen wir uns auf den Heimweg.
Auf dem Rückweg wird es windiger und somit auch kühler. Der Wind scheint von hinten zu kommen, also für uns Ruderer von vorne. Wir kommen gut vorwärts trotz des Gegenwinds. Vielleicht kommt der Wind auch nicht nur von vorn, das wäre in diesem Fall von Süden. Die Windrichtung während des Ruderns auszumachen, finde ich schwierig. Später lese ich im Wetterbericht für Wassersportler „Wind aus Süd bis Südwest“. Das passt doch zu unserer Einschätzung!
Der Wind nimmt zu und wir legen einen Zahn zu. Heike besticht durch ihre Beständigkeit als Schlagfrau. Wir überqueren den Nieder Neuendorfer See und dann erklingt auch schon das Kommando: „Halbe Kraft voraus!“ Die grüne Boje liegt auf Steuerbord, der Steg vor uns und wie von Engelsflügen getragen gleiten wir im perfekten Winkel an den Steg. Gut gemacht, Carol! Besser geht’s nicht.